Texte von Sören Ingwersen

Geburtstagszwang

„Im Grunde genommen“, sagte meine gute Freundin Clara kürzlich, „sind Geburtstage doch eine hoch deprimierende Angelegenheit. Nehmen wir zum Beispiel deinen letzten Geburtstag.“ Ich stellte die Kaffeetasse, aus der ich gerade trinken wollte, wieder auf den Tisch. Wieder einmal hatte Clara einen Satz geäußert, der unmittelbar mich betraf und nach dem – auch wenn ich das, was folgen würde, nur schwer ermessen konnte – an ein harmonisches Kaffeegespräch wohl nicht mehr zu denken war.

„Verstehe mich nicht falsch“, fuhr Clara fort. Aber wie hätte man Clara jemals falsch verstehen können, wo sie doch alles so klar und unmissverständlich ausdrückte.

„Ich habe mich wirklich amüsiert auf deiner Feier“, sagte Clara. „Du weißt, dieser Typ mit den blonden Haaren war mir sehr sympathisch. Aber ich habe dann doch schnell das Interesse an ihm verloren.“

Mit „Typ“ meinte Clara meinen Grundschulfreund Arne. Natürlich kannte sie seinen Namen, es war jedoch unter ihrer Würde, vermutete ich, ihn auszusprechen, nachdem Arne – das war nämlich seine Version der Geschichte – ihr unmissverständlich klar gemacht hatte, dass für ihn eine Beziehung mit Clara ungefähr so unvorstellbar war wie ein Nilpferd auf dem Mond.

In dieser Hinsicht konnte ich Arne gut verstehen.

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Leute ohne Ideen

„Im Grunde genommen“, sagte meine gute Freundin Clara kürzlich, „schreiben nur diejenigen, die keine Ideen haben. Leute, die Ideen haben, schreiben nicht.“ Ich stellte die Kaffeetasse, aus der ich gerade trinken wollte, wieder auf den Tisch. Wieder einmal hatte Clara einen Satz geäußert, der unmittelbar mich betraf und nach dem – auch wenn ich das, was folgen würde, nur schwer ermessen konnte – an ein harmonisches Kaffeegespräch wohl nicht mehr zu denken war.

„Es ist doch so“, fuhr Clara fort. „Wer Ideen hat, der macht etwas aus seinen Ideen. Etwas Reales, meine ich.“

Wenn Clara von etwas Realem sprach, dann meinte sie damit alles Mögliche, nur keine Literatur.

Schon oft hatte ich versucht, Clara zu erklären, dass für mich die Literatur etwas genauso Reales sei wie zum Beispiel das Mandelhörnchen, das sie immer aß, wenn wir zusammen im Café saßen. Das war natürlich ein schlechtes Beispiel, weil Clara Mandelhörnchen über alles liebte. Meine Literatur aber liebte sie nicht. Sie verabscheute sie auch nicht. Sie war ihr auf eine erschreckende Weise gleichgültig und das schmerzte mich mehr, als wenn sie mir alle vernichtenden Urteile der Welt entgegen geschleudert hätte. Aber Clara schleuderte einem nie irgendetwas entgegen. Ihre Äußer­ungen wirkten immer beiläufig sachlich, auch wenn sie bei näherer Überlegung manchmal den größten Blödsinn enthielten und bei noch näherer Überlegung doch einen so harten Wahrheitskern, dass man sich leicht an ihm die Zähne ausbeißen konnte.

„Was meinst du damit?“

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